Die Deutschen, die Nation und Fußball
Was für Gedanken einem nicht so alles durch den Kopf gehen, wenn man in der Buchhandlung steht. In der Sportabteilung waren die Regale bestens gefüllt mit allerlei netten Büchern über alle möglichen und unmöglichen Sportarten in Mitteleuropa und darüber hinaus. Kein Wunder es ist ja auch Weihnachten. Die beste Zeit also, den Menschen das neueste aus den Sportbuchverlagen schmackhaft unter die Nase zu legen. Da ja auch in Deutschland der Trend zum Zweitbuch geht, muss ja jedes Ereignis gleich mehrfach abgefeiert werden. Das es also auch gefühlt 247 Bücher zur Fußball-Europameisterschaft gibt, muss da nicht mehr weiter wundern. Zumal in Deutschland der Fußball ja nicht nur sportliche Bedeutung hat, sondern auch ein nationales Heiligtum darstellt. Zumindest was die Nationalmannschaft angeht.
Ich frage mich da gelegentlich, ob es noch eine andere Nation auf der Welt gibt, deren nationaler Gründungsmythos mit dem Gewinn eines wie auch immer gearteten Sportwettkampfs zu tun hat. Die Schweizer haben ihren Rütlischwur, die Franzosen haben die Jungfrau von Orleans (wobei hier die echte Jungfräulichkeit mal nicht diskutiert werden soll), Spanien hat El Cid und die Engländer gleich einen ganzen Blumenstrauß an Nationalheiligen, die alle irgendwas mit der Gründung des modernen Staates zu tun haben. Und die Deutschen? Was hat man zwischen Rhein und Oder zu bieten? Eigentlich eine ganze Menge. Da wären Otto I., Friedrich „Barbarossa“, Martin Luther, Karl Marx, Otto von Bismarck so als kleiner Anfang an realen Personen und natürlich noch alles was sich so in der Nibelungensage herumtreibt. Allerdings haben die Herrschaften den einen oder anderen Totalschaden mitbekommen im Laufe der letzten, sagen wir, 1000 Jährchen. Was die Sportkameraden im Kaiserreich nicht völlig unbrauchbar gemacht haben, dass haben dann die Damen und Herren Nationalsozialisten fertig geschafft. Den Kollegen Marx haben die Genossen in der DDR endgültig diskreditiert.
Und Martin Luther? Der hat ja die Kirche gespalten, ob man da noch Nationalheld sein darf? Eigentlich schon, spalten ist in Deutschland immer sehr beliebt gewesen. Deutsche spalten alles. Angefangen von Atomen, über ein Land bis hin zu ganzen Weltreligionen ist in Deutschland nun wirklich schon alles gespalten worden. Wobei die Spaltung der deutschen Lande und der deutschen Urankerne viel Ähnlichkeit haben. Es bleiben winzig kleine Teile übrig. Man schaue sich nur mal die Landkarte um 1500 an. Völlig atomisiert das gute Deutschland. So blieb das auch bis zum Kollegen Napoleon. Der hat es tatsächlich geschafft einigermaßen Ordnung in dem Laden zu schaffen. Franzosen sind so; immer schön zentralistisch, dafür aber großräumig. Nach den Befreiungskriegen hatten das dann auch die Deutschen begriffen. Also ein Teil hatte das begriffen. Die Fürsten eher weniger, die hingen, verständlicherweise, an Thron und Dynastie. Deswegen haben sich die Bürger schließlich auch die Revolution von 1848 ausgedacht. Viel gebracht hat's ja nicht, wie man weiß. Mit der deutschen Nation klappte es dann später unter Bismarck, auch nichts Neues. Aber damals war's schon spektakulär, wann wird schon mal ein Staat fern der Heimat ausgerufen. Wilhelm II. hat es dann geschafft das schöne neue Land dann das erste mal gründlich zu ruinieren. Aber es so richtig zu versauen, das hat nun wirklich nur ein gewisser Herr Hitler geschafft. Es ist schon faszinierend wie man es schaffen kann ein ganzes Land in nur 12 Jahren derartig vor die Wand zu fahren. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Adolf Hitler in heutiger Zeit Manager bei einer Immobilienbank geworden wäre. Die Herren haben ja auch in Rekordzeit ihre Banken völlig an die Wand gefahren. Gut es hat noch kein Bänker 50 Millionen Tote auf dem Gewissen, aber die Arbeitsweise von debilen Bänkern und Diktatoren scheint gewisse Parallelen zu haben.
Aber zurück zu den Nationalhelden. Ok Adolf Hitler hat damit viel zu tun, weil in den besagten 12 Jahren letztlich so ziemlich alle zur Verfügung stehenden Helden verbrannt worden sind. Mal abgesehen davon war die Bundesrepublik gerade aus dem Ei geschlüpft und für deutsche Verhältnisse eine völlige Neuigkeit. Demokratie kannte ja niemand in unserem Land. Dazu gesellte sich ein erhebliches Minderwertigkeitsgefühl nach der vernichtenden Niederlage 1945. Da kamen die Helden in der Schweiz gerade recht. Man darf wohl sagen, die Bundesrepublik ist irgendwie auch im Berner Wankdorfstadion gegründet worden. Denn ein ordentlicher Staat braucht sein mythologisches Gründungswunder. Wenn's dann eben ein Fußballwunder ist, nun gut. Es geht auch blutrünstiger. Aber mit dem Blut haben es die Deutschen ja nicht mehr so. Zum Glück.
Die 247 EM-Bücher habe ich dann übrigens im Regal stehen gelassen. Die verworrenen Gedanken beim Betrachten leicht überbezahlter Balltreter in Hochglanzdruck waren dann doch ein wenig zu viel so kurz vor Weihnachten. Habe mir dann andere Geschenke ausgedacht.

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jean stubenzweig, Mittwoch, 17. Dezember 2008, 06:48
Jetzt sind Sie dem Warum Ihres Ganzen schon sehr viel nähergekommen. Und mir. Dem sowas den Tag verschönern tut. Alleine das: «Franzosen sind so; immer schön zentralistisch, dafür aber großräumig.» An eine treffendere Charakerisierung kann ich mich nicht erinnern.

Gerne mehr von diesen Spaltereien. Bitte.

jean stubenzweig, Donnerstag, 18. Dezember 2008, 02:08
So leid es mir tut, das hatte ich nicht beabsichtigt:

Eigentlich
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